Der Schwabing-Blog mit Englischer Garten und Eisbach von Nymphenspiegel-Redaktion und Forum neue Isar, der sowohl den Englischen Garten mit Eisbach als auch das einstige Künstlerviertel Schwabing inhaltlich abdeckt, ist eine Offene Plattform zu diesen Themenbereichen und stellt auf dieser Homepage auch das Bindeglied zur Isar-Arbeit im Nymphenspiegel dar. Mehr über diese unter www.die-neue-isar.com.
Ein Hauptanliegen dieses Blogs zu Schwabing, Englische Garten und Eisbach ist, an dieses legendäre ehemalige Künstler-Viertel, das in den letzten Jahrzehnten einen atemberaubenden Niedergang hinsichtlich Kommerzialisierung, Verteuerung und Mainstream-Tourismus erlitten hat, zu erinnern, Überlebende aus diesem früheren Bohème-Bezirk vorzustellen, Reste zu sichern, aufzuzeigen und – vielleicht ein wenig – zu einer Neubelebung und Renaissance mit beizutragen. Welche Bohème-Generationen hierbei gemeint sein könnten, unterliegt dabei keiner engeren Festlegung und hängt letztendlich allein von den AutorInnen dieses Schwabing-Blog und ihren Texten ab, auf welche Zeit sie sich damit beziehen. Und vielleicht gibt es hierzu sogar noch manch erwähnenswertes aus der Gegenwart zu berichten. Die immer wieder Totgesagten leben schließlich oft am längsten und sei es, nur im Verborgenen. Wer zu dieser Themenpalette insgesamt fundierte und lesenswerte Texte beizutragen hat, ist eingeladen, hier veröffentlichen. Das gilt gleichermaßen für journalistische, fachliche wie auch literarische und lyrische Beiträge.
Der Englische Garten in München
Da dieser Schwabing-Blog Teil des Nymphenspiegel-Kulturprojekts mit Forum neue Isar ist, wird auch darin wieder das Motiv des Gartens eine tragende Rolle spielen: Der Englische Garten, der neben dem Nymphenburger Schloßpark der zweite Skell´sche Landschaftspark in München ist – mit ersterem sowohl wesensverwandt als auch in gewisser Weise gegenpolar zu ihm, wird wie dieser von einem Fluß gespeist und belebt, allerdings von einem mit Wildfluß-Charakter: nämlich dem aus der Isar abgeleiteten Eisbach, einem der wenigen noch existierenden Münchner Stadtbäche.
Gärten inspirieren zum einen literarisch – und diese künstlerische Ernte kann hier gerne eingebracht werden. Zum anderen wirken diese eigentlichen Inseln im Alltag als Spiegel des Zeitgeist und sind unvermeidlicherweise auch dessen Austragungsfelder. Das gilt für den Englischen Garten noch in besonderer Weise: Denn anders als im Nymphenburger Schloßpark, welcher der inspirative Ursprung und Ausgangspunkt für die „Nymphenspiegel“-Reihe ist, gibt es dort keinerlei Gartenmauer. Er ist in jeder Hinsicht durchlässig zu seinen städtischen Umfeldern hin. Auf westlicher Seite von Schwabing umgeben, im Osten an der Isar gelegen, wirkt dieser größte innerstädtische Park der Welt auch wie ein Seismograph für Zeitstrom und Entwicklungen in München, vor allem aber in Schwabing. Die Veränderungen dort machen sich deutlich im Englischen Garten bemerkbar, der eine ganz besondere Schnittstelle zwischen städtischer Gartenoase und sozio-kulturellem Spiegel des Umfelds darstellt.
Wozu ein Schwabing-Blog?
Dieser Schwabing-Blog ist, verglichen mit anderen München-Blogs, eher überschaubar mit der Anzahl seiner Beiträge, da dessen inhaltliche Palette grundsätzlich immer wieder durch die Nymphenspiegel-Bände, vor allem durch deren Themenformat Die neue Isar abgedeckt wird, für die eine Vielzahl kompetenter, auch prominenter AutorInnen schreibt.
Zu den Stärken eines Blogs gegenüber den Publikationen dieser Buchreihe gehört jedoch
- eine schnellere und besonders ergiebige Verbreitung wichtiger Informationen, zum Englischen Garten in München, zum Umfeld am Eisbach und zu Schwabing, über das Internet,
- die Möglichkeit, auch sehr kurzfristig auf Ereignisse und Entwicklungen zu reagieren,
- ein prinzipiell grenzenloser publizistischer Raum, nicht zuletzt vom Platzangebot aus betrachtet, der zudem ur-demokratisch ist und an dem jeder teilhaben kann.
So ist dieser Schwabing-Blog – mit Englischer Garten und Eisbach als Erweiterung der Nymphenspiegel-Bücher mit deren Unterreihe Die neue Isar gedacht, nicht jedoch als Ersatz, da ein Buch wiederum ganz eigene Potentiale besitzt. Die besten Beiträge dieses Blogs können auch in den Bänden dieser Buchreihe veröffentlicht werden. Was es mit beiden Buchformaten genau auf sich hat, erfahren Sie unter den sonstigen Links dieser Seite sowie auf www.die-neue-isar.com, wo es ebenfalls einen Blog gibt, nämlich zu sämtlichen Isar-Themen. Jenen finden Sie unter www.die-neue-isar.com/isarrenaturierung/isar-muenchen-isar-blog. Und auch diese Nymphenspiegel-Homepage bietet noch einen zusätzlichen Blog an –zu allen Themen rund um den Schlosspark Nymphenburg sowie entlang der Würm, womit es dann insgesamt drei an der Zahl sind; zu letzterem gelangen Sie unter dem Link www.nymphenspiegel.de/nymphenspiegel-baende/nymphenburg-blog-schlosspark-wuerm. In allen Blogs des Nymphenspiegel Kulturforum sowie des daran angeschlossenen Forum neue Isar erfahren Sie Hintergründe und Details, die Sie in Presse und offiziellen Verlautbarungen vergeblich suchen werden.
Englischer Garten und Schwabing – Observer
Eine der Intentionen dieses Schwabing-Blog – mit Englischer Garten und Eisbach ist es auch, wichtige Informationen zu diesen Bereichen schnell und breitgestreut öffentlich zugänglich zu machen und damit auch den jeweiligen AutorInnen Gehör mit ihren Anliegen und für ihre Themen zu verschaffen. Prädestiniert ist dieses Offene Forum daher auch für Beiträge etwaiger Bürger-Initiativen, die ein dessen Themenbereichen gemäßes Anliegen vertreten. Wer hierbei den Nerv vieler trifft, hat mit seinem Artikel gewiß die Chance, auch etwas zu bewirken.
Dialog mit Rathaus und Verwaltungen
Im Gegenzug lade ich auch die jeweils zuständigen Referate der LH München, bzw. das Rathaus ein, sich hier an einem offenen Bürger-Dialog zu beteiligen, gerne auch eigene Beiträge zu verfassen zu aktuellen Themen, oder aber die Beiträge der Bürger zu beantworten.
Wie kann ich hier selbst veröffentlichen?
Um eine gewisse inhaltliche wie sprachliche Qualität zu gewährleisten, werden die Beiträge vorab redaktionell gesammelt, geprüft und, wo nötig, in Rücksprache mit der jeweiligen Autorin bzw. dem betreffenden Verfasser, auch ein wenig lektoriert.
Bei Interesse, wenden Sie sich bitte an die Redaktion unter Mail: nymphenspiegel@aol.com. Der zuletzt publizierte Text findet sich hier immer an erster Stelle, ältere Beiträge rücken einfach nach unten weiter.
Ralf Sartori, Nymphenspiegel mit Forum und Redaktion Die neue Isar
Gründungsdatum dieses Schwabing-Blog – mit Englischer Garten ist der 15. November 2011.
Als kleine Anregung
befinden sich hier fünf Beispiel-Texte, zwei darunter von prominenten Schwabinger Künstlern, die bereits in der Buchreihe Die neue Isar des Nymphenspiegel publiziert haben, von dem Literaten und Kabarettisten Helmut Ruge, in Band VI, VII & VIII, von dem Musiker und (da Mit-Auslöser der Schwabinger Krawalle) sogenannten Krawall-Gitarristen Sitka, in Band VII des Nymphenspiegel (Band 2 Die neue Isar), wo sich diese Beiträge in voller Länge befinden, sowie mit zwei eigenen Texten.
Bisher veröffentlichte Beiträge
(Das ©opyright zu diesen Texten liegt bei den jeweiligen Autoren sowie bei der Redaktion und ist in jedem Fall zu respektieren)
- Der Städtemörder (von Helmut Ruge/ in voller Länge in Band 2 Die neue Isar)
- Schwabing (von Sitka, mit einem Gedicht von Peter Paul Althaus/ ebenfalls in Band 2 Die neue Isar)
- Kalter Wind des Zeitgeists über Schwabing / Kein Lächeln scheint heut mehr dort stehengeblieben (von Ralf Sartori & Thomas Köster, in Band 2 Die neue Isar)
- Die Eisbach-Surfer im Englischen Garten in München (von Ralf Sartori)
- Artensterben in München, die Spirale der Reichtums-Verarmung (oder Heimat als Luxusgut / ein Beitrag von Ralf Sartori / aus Band 3 Die neue Isar)
Der Städtemörder
Er geht wieder um
Er geht wieder um
Er geht wieder um und bringt um
Er geht durch unsere Straßen
Mit Riesenkrallen würgt er seine Opfer
bis das Blut erstarrt.
Schlägt die kalten Eisenzähne in das warme Fleisch.
Wo gestern Menschen tanzten, ist schon Morgen alles tot.
Und keiner hält ihn auf: den Städtemörder.
Tatort: Berlin Mitte – das alte Scheunenviertel
Vor neunzehnhundert dreiunddreißig Wohnquartier
für zugewanderte Juden aus Osteuropa
für Künstler und Intellektuelle.
Dann Vertreibung und Ermordung vieler Bewohner.
Durch die Nazis.
Ab 1949 Teil der Hauptstadt der DDR.
Wegen Geldmangel blieben wesentliche
Teile von Plattenbau und Abrißverschont.
Nach der Wiedervereinigung aufgestiegen
zum Filetstück des Berliner Immobilienmarktes.
Erste Sahne für Absanierer.
Wiedererkennung des alten Viertels nach kurzer Zeit gegen Null.
München – das alte Schwabing:
Wo einst der rote Lenin auf die Blauen Reiter traf.
Schwabing: Der ganz besondere Zustand hinterm Siegestor
Selige Stätte der Wolkenspinner
Herrlich, verkommener, blühender Sumpf,
Stierkampfarena erregter Gespräche
Magisches Licht im Großstadtdunst.
Dampfendes Treibhaus schillernder Pflanzen
Schattengewächs am nächtlichen Strand.
Einsames Eiland irrster Gedanken
Der letzten Verrückten eigenes Land.
Verendet im Krater der Mietpreisexplosion
vor der Olympiade 72.
Von den Brauereien, Banken und Versicherungen
in den Würgegriff genommen
und bald mit Plastikbechern zugeschissen.
Unter der Dächern: Die Malerateliers
mutierten zu Zweitwohnungen reicher Rechtsanwälte
aus Düsseldorf und Hamburg.
Aus dem Traumland wurde eine flächendeckende Ödnis
mit bunten Löwen garniert.
Triste Singles hängen heute rum
an tristen und neutralen Tresen.
Ein paar APO-Veteranen lallen stehen-gebliebene Meinung
in den letzten Kneipendunst.
Reanimierung zwecklos? …
Paris: Meine heißgeliebte, berühmt,
berüchtigte Rue de Lappe
In der Nähe der Bastille.
Rue de Lappe: Zweihundert Meter pralles Leben.
Ballhäuser, Krämerläden, Nahkampfdielen
für die Vorstadtschönen.
Cafés, Straßenmädchen
Und darüber hinter bunten Vorhängen,
Geburt, Liebe, Betrug und Versöhnung.
Über ein halbes Jahrtausend lang.
Hier waren die kleinen Leute lustig
Und die feinen Leute weit.
Hier schoben Emile, Jojo und Pierrot
die Ballonmütze auf dem Kopf –
Yvette, Josette, Cosette beim Musette
mit gierigen Knien durch den Saal
und hatten davon ziemlich freche Kinder.
Durch kräftige Mieterhöhungen
Anfang der neunziger Jahre
wurde das bunte Leben aus der Straße vertrieben.
Erst ging der kleine Bäckerladen pleite.
Dann das Café in der Mitte.
Der verrückte Spanier gab sein Atelier auf,
Leon, der Frisör, zog in die Vorstadt –
In die „Banlieue“
Banlieue: Ort der Verbannung.
Als letztes mit Brettern zugenagelt;
das alte Apéritiv-Paradies „Chez Georgette“,
wo vor kurzem noch Maurice Chevalier aus
der Musikbox sang:
„Dans la vie faut pas s´en faire,
moi je m´en fais pas.
Les petites misères
seront passagères.”
Moi, je m´en fais pas.
Die Beauftragte der neuen Gebäude-Holding
Résidence-GmbH & Co. KG – sitzt
in einem gläsernen Büro hinter einer
Klarsichtscheibe bis zum Boden runter
Hinter ihrem weißen Telefon.
Mitten zwischen den Bretterzäunen
der entmieteten und entlebten Rue de Lapp,
und hält Ausschau nach solventer Kundschaft.
Jedes Quadratmeter kostet jetzt soviel
wie ein mittlerer Kleinwagen.
Die Hälfte ist schon verkauft.
Schon vor längerer Zeit hingemeuchelt:
Das alte Markthallenvierteln von Paris
LES HALLES
Der Bauch von Paris.
Es roch nach Leben aus allen Poren.
Der Duft der Zwiebelsuppen morgens um halb vier –
der schräge Gesang der Nachtvögel im „Rauchenden Hund“,
im „Chien qui fume“.
Zu den Melodien der Ziehharmonikas tanzten die
Rinderhälften auf den Rücken der Metzgergesellen
übers Klopfsteinpflaster.
Und nach getaner Arbeit ging´s
ins dampfige Bistro: Die Frühschicht
trank Café, die Spätschicht Pastis,
und die Fremden staunten, wie die Huren mit
den Polizisten das nächste Pferderennen von Vincennes
besprachen.
Heute kann das hochglanzrenovierte Viertel
nur noch fast-food kotzen.
„Irma la douce“ in Videokabinen,
die rue Saint Denis toter als Castrop Rauxel an Heiligenabend
Er geht wieder um
Er geht wieder um
Er geht wieder um und bringt um
Er geht durch unsere Straßen
Frau Müller, Madame Dupont, Mister Miller,
Tür und Fenster schließen nützt nichts.
Er kommt doch!
Und keiner hält ihn auf,
den Städtemörder.
Helmut Ruge
Schwabing
(von Sitka)
Ich steh vor dem „Vereinsheim“ in der Occamstraße und rauche eine Roth-Händle.
Hier war früher mal die „Gisela“ herin. Wenn ihre italienische Unterhaltungskapelle Pause machte, dann durften junge Musikanten aus Schwabing aufspielen. Ich begleitete damals einen Balalaikaspieler auf der Gitarre, der auch manchmal bei der Pausenmusik vertreten war.
Als Gage gab es eine Gulaschsuppe. Ein Programmpunkt bei Gisela war, daß Gäste hier Witze erzählen durften. Jetzt wußte ich auch, woher der unerschöpfliche Witzebestand bei meinem Musikantenkollegen kam. Und wenn Gisela sang “Schwabinger Laterne, Traumstadtmelodie …”, dann wurden die Gäste ganz andächtig still, weil hier die geheimnisvolle, romantische Stimmung dieses Stadtviertels und Zustands angesprochen
wurde. Die „Schwabinger Gräfin“ Reventlow erfand dafür den Namen “Wahnmoching“ und P. P.Althaus meinte: „Schwabing ist kein Zustand. Das sind Zustände!“.
Aber er hatte auch von einem Lächeln geschrieben, das in Schwabing stehen geblieben ist. Ein schönes Bild. Es lädt zum Träumen ein.
Also ein sehr vielschichtiges Thema. Ich sinniere über die Lokale nach. Gegenüber war ein berühmt-berüchtigter Stehausschank (Sissy) … . Am Eck der „Nowak“.
Der „Weinbauer „ war interessant. Studenten aus aller Herren Länder und bodenständige Leute.
Die Bedienung Anni, man war kaum an seinem Platz, stand das Bier schon da. Damals wurde noch Dunkles getrunken. Die Halbe um 65 Pfennig. Und übers Bierglas hinweg ergaben sich lange Gespräche. Ganz unterschiedliche Stammtischrunden waren
hier versammelt. Die Vielfalt war es, eine Art „Multikulti“ in bayerischer Wirtshauskulisse, die mich bewogen hat, da öfters mal vorbeizuschauen. Auch politische Auswirkungen waren ersichtlich, wie z. B. später mal, als der komplette Asmara-Stammtisch plötzlich fehlte. Warum war wohl keiner mehr da? Eine Woche später hatte die Revolution in Eritrea begonnen!
Dann das Cafe „Nest“, fällt mir ein. Das gibt es heute nicht mehr. Es war an der Leopoldstraße. Das Cafe war eigentlich häßlich. Es lebte nur von den so verschiedenen Leuten, die dort verkehrten. Aber vielleicht waren sie gar nicht so verschieden. Etliche von der Kunstakademie. Eine alte Dame, die als Aktmodell bekannt war. Wenn HA Schult
(Hans-Jürgen Schult) Volksreden hielt von seinen Visionen und am Eingang seine
grellgeschminkte Muse saß.
Die Literatur kam auch nicht zu kurz. Wir schmunzelten, wenn Acheron (Ernst Herhaus) von einem freigehalten wurde, dem er versprochen hatte, daß er ihn in seinem nächsten Roman vorkommen lassen würde. Vorne diskutierten die Kaffeehausindianer (Isarindianer) über die Unterschiede von Schwarzzelt (Kohte) und Weißzelt (Tipi) und die schönsten Plätze an der Isar.
Und ganz hinten tagte die Gruppe „Spur“. „Die malen gar nicht mehr mit dem Pinsel, die quetschen die Farbe gleich aus der Tube auf die Leinwand“, erfuhr man so über die Kaffeetasse hinweg. Dann gesellte sich noch Dieter Kunzelmann dazu und erarbeitete Manifeste der Gruppe Spur. Dazu etablierte sich noch eine trinkfeste Weißbierfraktion.
Amüsante Selbstdarsteller gab es und selbsternannte und tatsächliche Experten für fast alles.
Also sehr unterhaltsam. Von Kunzelmann wußte man, daß er sich in Paris gut auskannte. Da unser Freundeskreis vorhatte, mal nicht, wie sonst, mit dem Zelt wegzufahren, sondern eine Großstadt als Fahrtenziel zu wählen, nämlich Paris, mit Straßenmusik, unter Brücken schlafen und Atmosphäre schnuppern, kam ich auf die Idee, ihn nach einem günstigen Eßlokal zu fragen. „Geht in die Rue Tiquetonne“, meinte er. Der Tip war gut. Lokale wie in dem Film „Les Enfants du Paradis“ (Kinder des Olymp). Sehr preiswert, malerisch und reges Treiben. Über Pfingsten 1962 waren wir dort. Kunzelmann kannte unsere Gruppe. Er war früher bei einer konfessionellen Jugendgruppe und bestritt erfolgreich Tischtennisturniere.
Für seine „Aktionen“ in Schwabing suchte er mal wieder Leute. Aber ich mußte ihn enttäuschen. Ich hatte Werner Helwig gelesen. Helwig war früher beim Nerother Wandervogel. Er schrieb Lieder, Gedichte und Romane, darunter „Die Raubfischer von Hellas“.
Ein Raubfischer hatte auf seinem Messer einen Spruch einziseliert: „Ich bin die Maus, die an der Wurzel des Lebens nagt“. Ich sagte zu ihm: „Du bist die Maus, die an der Wurzel der Gesellschaft nagt“. Er lachte. Damals hatte er seinen Keller in der Bauerstraße. Als ihm
München zu gemütlich wurde und für ihn nichts mehr los war, ging er nach Berlin. Viele Schwabinger zogen nach Berlin. Dort brauchte man nicht zum Wehrdienst. Und bei der „dicken Wirtin“ gab es sogar Weißbier!
Am 21.Juni 1962 blieb leider kein Lächeln in Schwabing stehen.
Wir waren zu fünft auf dem Heimweg vom Cafe Nest. An einer Bank in den Anlagen bei der Ecke Martius/Leopoldstraße kam uns die Idee, noch Musik zu machen und wir sangen unsere Fahrtenlieder in die Nacht. Da fuhr noch die Trambahn durch die Leopoldstraße.
Spätere Phonmessungen ergaben, daß der Verkehrslärm lauter war als unser Ständchen. Aber jemand fühlte sich gestört und rief die Polizei. Das Interview, das der Journalist Christian Rost mit dem damaligen Funkstreifenbeamten später geführt hat, macht einen etwas nachdenklich. Da outet sich der Beamte als der eigentliche Urheber der „Schwabinger Krawalle“. Nachzulesen im SZ-Buch „München, Die Geschichte der Stadt“. Erscheinungsjahr 2008. Er hielt die Gruppen, die er an diesem Tag verwarnt hatte, und unsere Gruppe für ein und dieselbe. (Am Wedekindbrunnen spielte meistens Bernard auf seinem Banjo.) Ein fataler Fehler. Hätte er gesagt: „Geht heim! Hört´s auf!“, wäre der Fall erledigt gewesen.
Den Passanten, die stehenblieben und uns zuhörten, gefielen unsere Lieder. Sie verstanden nicht, warum wir verhaftet wurden. Unter Rempelei und Fußtritten wurden wir Richtung Funkstreife dirigiert. Einem Passanten, der sich höflich mit britischem Akzent nach dem Grund der Verhaftung erkundigte, wurden die Knöpfe von der Jacke gerissen und es wurden
Rufe der Empörung laut von den Umstehenden. Es hatte sich inzwischen eine große Menge Leute gebildet.
Der erste von uns stieg auf der anderen Seite der Funkstreife gleich wieder aus und war weg. Drei von uns wurden mit Gitarren auf dem Rücksitz untergebracht, Der Fünfte paßte nicht mehr rein und war dann auch gleich weg. Ein Zuhörer, der mit der Verhaftung nicht einverstanden war, ließ die Luft aus einem Hinterreifen. Der Wagen schlingerte nur
langsam vorwärts und kam nicht weg. Die beiden Funkstreifenbeamten funkten um Hilfe. Wir wurden umgeladen.
Während wir zur Ettstraße gebracht wurden, kam es zu üblen Szenen durch prügelnde Polizisten, die zur gewaltsamen Räumung der Leopoldstraße angefordert wurden. In
einer Massenzelle hielt man uns bis zum Morgen fest.
Durch den Ausspruch des damaligen Oberbürgermeisters Dr. Hans Jochen Vogel: „ … diese Krawallgitarristen, die schon seit langem ihr Unwesen in Schwabing treiben …“, hatten wir einen ganz schlechten Stand. Unwesen? Einmal hatten wir an der Leopoldstraße gesungen und gespielt.
Es wurde ein Brief an den OB geschrieben. Das wollten wir doch klarstellen. Aber der Brief wurde ihm gar nicht vorgelegt! Ein Jahr später besuchte uns eine Journalistin, bei der wir es beklagten, daß wir nie eine Antwort bekommen haben, Sie schrieb darüber und diesen Artikel las der OB in seinem Urlaub. Er ließ den Brief heraussuchen. Inzwischen gab es
eine objektivere Betrachtungsweise. Eine Bürgerinitiative gegen Polizeiwillkür hatte sich gebildet. Über einen Polizeipsychologen wurde nachgedacht.
Der OB meldete sich und entschuldigte sich für seine damalige Behauptung. Er wolle sich
um eine Übungsmöglichkeit für uns kümmern.
30 Jahre später ergab sich eine Übungsmöglichkeit im Keller der Seidlvilla. Zum Sommerfest damals wurde aufgespielt. Mit der „Krawallgitarre“ legal in Schwabing!
Damals sangen wir russische Volkslieder, Lieder aus dem „Turm“ und Lieder aus Walter Scherfs (tejo) Liedersammlung, Lieder, wie sie auch auf der Burg Waldeck gesungen wurden.
Wir spielten an dem berühmten Abend „Mondschein“, eine bekannte Balalaikamelodie. Dann das Cowboylied über „Jesse James“. Und wieder etwas aus Russland, darunter ein russisches Seemannslied. „Thy morjak“. Das sang auch der „Nerother Wandervogel“, die Freischar und die Jungenschaft. Es war so etwas wie die Erkennungsmelodie der Bündischen Jugend. Die Liedauswahl war Ausdruck einer inneren Haltung.
Wir waren damals eine Jugendgruppe im „Bund deutscher Jungenschaften“. Hans Scholl von der Weißen Rose war früher auch bei der Jungenschaft (d.j.1.11, Ulm). Und Alexander Schmorell von der Weißen Rose spielte Balalaika.
(Nicht zu verwechseln mit der Alterseinteilung bei Jugendlichen: Jungschar, Jungenschaft, Jungmannschaft. Sondern Jungenschaft als eigenständigen Jugendbund).
Eine gute Definition schrieb die Schwester von Hans und Sophie Scholl, Inge Aicher-Scholl in ihrem Buch Die weisse Rose“: „ … aber daneben gab es noch etwas anderes für Hans und meinen jüngsten Bruder Werner … das war die „Jungenschaft“ … “.
Stilmittel waren die Kohte, die Juja und eine besondere Art zu singen, die Kleinschrift vom „bauhaus“ und mehr. Nichts überließ er dem Zufall. Eberhard Koebel (tusk) war ein halbes Jahr mit Rentiernomaden in Lappland unterwegs. Dabei kam er auf die Idee, die dort
gebräuchliche Zeltform zu übernehmen und.für seine Jugendgruppen zu entwickeln. Die Juja genannte Jungenschaftsjacke wurde von tusk in Anlehnung an die Marinebluse der Schwarzmeermatrosen entworfen.
Die „Jungenschaft“ war im sog. 3.Reich verboten. Verwendung der Stilmittel der d.j.1.11
galt als „Bündische Umtriebe“, war verboten und wurde verfolgt.
Bündische Jugend … . Gibt es euch noch? Wieweit seid ihr gekommen auf eurem langen Marsch durch die Institutionen?
Inwieweit seid ihr euren Idealen treu geblieben? Schon 1913 formulierte die deutsche Jugend auf dem Hohen Meißner (bei Kassel), daß sie nach eigener Bestimmung, eigener Verantwortung und in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten will. Für diese innere
Freiheit tritt sie unter allen Umständen ein. (So die Meißnerformel) … .
Und: Nicht auszudenken, Konfrontation Bündische Jugend und Staatsgewalt. Eine Diskussion war entfacht. War es Nachhall der Halbstarkenproteste der 50er Jahre oder Vorbote auf die 68er Bewegung. Die Historiker haben sich der Problematik angenommen. Ein Buch ist zu diesem Thema erschienen: „Schwabinger Krawalle“ von Gerhard Fürmetz (Hg.) bei Kl artext Verlag.
Ein Aspekt, der eigentlich nie so richtig bedacht wurde, war, daß die Polizei aus Halbstarkenkreisen Leute angeworben hatte. Damals war der Begriff „gang“ noch nicht
üblich, man sprach von „Blosn“. Etliche aus diesen Blosn tauchten dann bei Polizeieinsätzen wieder auf.
Als wir in den Hof an der Ettstraße kamen, warteten einige Funkstreifenbeamte auf ihren Einsatz. Sie lehnten an ihren Wagen und rauchten. Da war es wieder. Das Halbatarkengehabe. Sie schnippten ihre Zigarettenkippen auf uns. Kommentar dazu: „Schlogts as doch!“
Damals galt noch die Haudrauftaktik als Problemlösung. Vier Abende war Krawall. Am fünften Tag regnete es. Da war Ruhe. Aber Überlegungen gab es, ob das nicht etwa kommunistische Umtriebe waren. Nach Hintermännern wurde gefragt. Aber so etwas
gab es bei uns nicht, Wir waren autonom. Wir bestimmten selbst, was, wo, wann, und wie wir etwas sangen. Als die Kriminalpolizei mein Zimmer durchsuchte, fielen nur die russischen Schallplatten und mein bunter Russenkittel auf. Als Journalisten später nach diesen Protokollen fragten, waren sie entweder unter Verschluß oder nicht mehr auffindbar. Der Tagesablauf war festgehalten worden. Wo wir uns getroffen haben. Bei wem wir gespielt haben. Daß wir am Monopteros vorbei sind, weil da schon andere spielten, daß wir nach Schwabing noch ins Cafe „Nest“ gegangen sind.
Die Harmlosigkeit war protokolliert. Man wollte sie aber nicht als solche sehen. Es folgte Strafbefehl mit Geldstrafe. (Grober Unfug und übermäßige Benutzung des Gehsteigs, Geld-
strafe in Raten zahlbar.)
Als Quelle der literarischen Inspiration bestätigte sich Schwabing immer wieder. Wie oft dachte man sich bei Unterhaltungen am Tisch, da bräuchte man jetzt nur noch mitschreiben und hätte eine tolle Kurzgeschichte beisammen. Und wer „Sacharin im Salat“ von Janosch
gelesen hat, der wähnte sich plötzlich in dem Lokal „bei Maxi“ mitten drin. Oder die Feste im „Atelier Jean“, auf denen wir manchmal auftraten, waren gut für künstlerische Inspirationen, man konnte z.B. dem Metallplastiker Erich Sinz bei der Arbeit zuschauen. Hannes Schacht, der das Atelier als Künstlerkneipe betrieb, fuhr später mit der Dschunke „Mau Yee“ an der adriatischen Küste. Oder die Besuche im Atelier von Uwe Lausen. Sie gaben bei mir den Impuls zu eigenem Malen. Und in der „Kaschemme Marianne“ konnte man „Drew Blues“ spielen hören. Später im „Memoland“ dann Philadelphia Jerry Ricks und Oskar Klein.
Ein Schwabinger Gefühl, verdichtete Musikatmosphäre, wie man sie in einer entsprechenden Umgebung nur noch ganz selten erleben kann. Vielleicht noch in …,
na ja es gibt noch Geheimtips.
Auf rührende Art und Weise wurde lange Zeit von Annette und Werner Bald mit der „Katakombe“ diese kreative und literarische Atmosphäre versucht, aufrecht zu erhalten.
In jungen Jahren ging ich gern nach Schwabing. Der Bildermarkt an der Leopoldstraße,
die Straßencafes, rumschlendern und träumen.
Heute muß man dazu nicht mehr unbedingt nach Schwabing gehen. Träumen
kann man heutzutage überall. Aber Schwabings Geschichte bleibt interessant. Denn hier
haben schon ganz andere Leute geträumt!
Die Gitarre (eine Sandner), die ich damals gespielt habe, hängt heute im Museum (Stadtmuseum, in der Ausstellung „Typisch München“).
Ja, die Pause ist um. Wir werden wieder weiterspielen. Und „Thy morjak“ wird auch dabei sein.
Vielleicht bleibt doch mal wieder ein Lächeln steh´n in Schwabing …
Allerdings wird das Lächeln, das in dem Gedicht „In der Traumstadt“ von P. P.Althaus vorkommt, von einem Polizisten aufgeschrieben, weil es stört!
Sitka (ein alter Schwabinger, früher „Krawallgitarrist“ und „Volksmusikrebell“, spielt Begleitgitarre bei der Gruppe „Gari-Gari“.)
Nachtrag: In der Traumstadt ist ein Lächeln stehn geblieben
In der Traumstadt ist ein Lächeln stehn geblieben;
niemand weiß, wem es gehört.
Und ein Polizist hat es schon dreimal aufgeschrieben,
weil es den Verkehr, dort wo es stehn geblieben, stört,
Und das Lächeln weiß auch nicht, wem es gegolten;
immer müder lächelnd steht es da,
kaum beachtet und gescholten
und geschubst und weggedrängt, wenn ja.
Langsam schleicht es sich von hinnen:
doch auf einmal wird es licht verklärt
und dann geht es ganz nach innen –
und du weißt, wem es gegolten und gehört.
Peter Paul Althaus (Quelle: „Das Peter-Paul-Althaus-Gedichtbuch“, Allitera, München 2004, Edition Monacensia)
Kalter Wind des Zeitgeists über Schwabing / Kein Lächeln scheint heut mehr dort stehengeblieben
(von Ralf Sartori)
Der Umgang mit Naturräumen wie den Isar-Landschaften, aber ebenso jener mit unseren Gärten und Parks, wirkt zweifelsfrei als Spiegel für Kultur und Zeitgeist in den sie umgebenden Städten. Das trifft natürlich ebenso auf den Englischen Garten in München zu. So brachten zum Beispiel die sog. „Nackerten“, wie sie von den Münchnern beiläufig tituliert werden, dort über lange Zeit den freiheitlichen und nonkonformistischen Geist des einstigen Künstler-Viertels Schwabing zum Ausdruck, das den Englischen Garten in München westseitig umschließt. Von einem zugestandenen Recht darauf, inmitten einer Stadt nackt umherzuspazieren oder zu baden, konnte allerdings noch lange Zeit keine Rede sein, ebensowenig von einer allgemeinen gesellschaftlichen Toleranz eines solchen Verhaltens. Ersteres wurde mutig durch anhaltendes Tun, auch entgegen mancher anfänglicher polizeilicher Interventionen errungen, Zweites stellte sich nach und nach aufgrund von Gewöhnung und sich verändernden gesellschaftlichen Haltungen ein.
So hatte sich in den letzten Jahrzehnten in dem etwa 376 Hektar großen Park Münchens ein hoher Anteil an Besuchern herausgebildet, so Thomas Köster, Verwalter des Englischen Gartens, die sich dort gerne nackt tummelten. Das seien einige Hundert der täglich 20.- 80.000 Parkbesucher gewesen. Doch dieses Phänomen befände sich längst wieder auf rückläufigem Wege. So ließen mittlerweile deutlich weniger alle Hüllen fallen, mit weiter sinkender Tendenz. „Anfang der 70er Jahre habe man sogar ganze Familien nackt unterwegs gesehen oder junge Leute, die nackt im Biergarten saßen. Doch das ist fast schon Vergangenheit“. Auf die Gründe dieser Veränderung angesprochen, antwortete Thomas Köster, die Gesellschaft sei wohl insgesamt wieder prüder und konformistischer geworden.
Was einst als gesellschaftliche Freiheit mühsam erkämpft, hatte zudem längst den Beigeschmack kommerziellen Waren-Charakters erhalten: So titelte bereits vor Jahren ein Artikel „Flucht der Nackerten stürzt Englischen Garten in die Krise“( „SPIEGEL ONLINE REISE“ im Internet vom 26. 07. 2002) und weiter im selben Bericht: „Der Englische Garten gehört zu den Highlights in München. Doch jetzt fürchten die Behörden um seine Attraktivität. …“.
Denn neben den Sehenswürdigkeiten dort, wie Chinesischem Turm, Kleinhesseloher See und dem Monopterus, vor Münchens unverbauter Altstadt-Kulisse, waren längst die Nackten unter die ersten Plätze bei den Attraktionen für die Besucher aus aller Welt vorgedrungen.
Einst noch galten sie als Reizthema, dann wurden sie zur festen Institution, die sich touristisch durchaus kräftig vermarkten ließ. Doch seit Mitte der 90er Jahre bleiben immer mehr von ihnen aus. „Der Park, in dem es extra ausgewiesene Nacktbadewiesen gibt, hat viele Nudisten verloren, die den Englischen Garten zu einem besonders liberalen Platz gemacht haben“, sagt Parkverwalter Thomas Köster. Vor allem junge Frauen und Männer, die ihn zu einer Attraktion werden ließen, kämen seltener. „Das wird ein echtes Problem.“ In vielen Reiseführern aus Ländern, in denen es „nackt umherzulaufen“ gar nicht gibt, wird in diesem Zusammenhang extra auf den Englischen Garten hingewiesen. Viele Besucher ließen sich diese Besonderheit auch nicht entgehen. In einigen Hotels habe man sogar Zimmer unter dem Hinweis „Aussicht auf die Nackten“ buchen können.
Daß viele eben jener längst keine Lust mehr haben, wie Tiere im Zoo von Touristen besichtigt zu werden, ist sicherlich einer der Gründe, warum die Leute heute wieder vermehrt angezogen bleiben. Doch vor allem scheint es, so vermutet auch Parkverwalter Thomas Köster, liege es an einem „neuen, konservativen Zeitgeist“ und: „Früher galt das Ablegen der Kleidung noch als eine populäre Form der Rebellion“. Heute gelte es beim Mainstream wohl als angesagter, mit teurer Kleidung in feinen Cafés herumzusitzen und bewußt über die Kleidung wahrgenommen zu werden. „Es ist schwierig, seinen gesellschaftlichen Status zu zeigen, wenn man nackt ist.“
Und viele der anderen, die ganz auf dieses Status-Gebahren pfeifen, ziehen sich vielleicht trotzdem lieber wieder an, da sie der kalte Wind des Zeitgeists, gegen den kaum anzukommen ist, zu sehr frösteln macht. Denn es scheint schon länger kein Lächeln mehr stehengeblieben in Schwabing, wo es wohl bereits zu den Zeiten des Dichters Peter Paul Althaus dort am Schwächeln und Verflackern war, dessen Metapher uns heute aber dennoch an andere Zeiten in diesem einstigen Bohème-Viertel erinnert.
Gedankliches Gespräch: zwischen Thomas Köster und Ralf Sartori (Anstoß zu diesem Beitrag gab ein Artikel von „SPIEGEL ONLINE REISE“ im Internet vom 26. 07. 2002, in dem Thomas Koester bereits einmal zu diesem Thema interviewt worden war. Anläßlich dieses Interviews und aufbauend auf seine damaligen Aussagen führte ich nun selbst ein Gespräch mit ihm hierüber und verfaßte auf dieser Grundlage eine neuen Beitrag/ Anm. Hrsg.)
Die Eisbach-Surfer im Englischen Garten in München
Doch hat sich im Englischen Garten mittlerweile zumindest auch eine neue „Szene“ entwickelt, die der Fluß-Surfer am Eisbach, die am Haus der Kunst die Möglichkeit einer dort vorhandenen „stehenden Welle“ nutzen. Das Forum Die neue Isar unterstützt deren Wunsch nach Schaffung einer weiteren stehenden Welle in der freifließenden Isar, die bisher jedoch von den Bezirks-Ausschüssen mit dem leidigen Pauschal-Argument abgelehnt worden war, daß man damit nicht einer schleichenden Kommerzialisierung der Münchner Isar Vorschub leisten möchte. Ob es zu einer solchen Entwicklung kommt oder nicht, hängt aber schließlich nicht von der Schaffung solcher Möglichkeiten ab, sondern einzig und allein von der Vergabe gewerblicher Lizenzen hierfür, die in diesem Zusammenhang ja einfach nicht erteilt zu werden brauchen. Wie absurd es wäre, aus gleichem Grunde, das Aufstellen von Tischtennis-Platten in Münchner Parkanlagen zu verbieten, leuchtet hingegen jedem ein.
Die Buchreihe Die neue Isar innerhalb des Nymphenspiegels wird ab Band 5, von 2013 an, auch immer wieder Insider-Beiträge von Isar-Surfern enthalten. Potentielle AutorInnen können sich gerne hierzu an die Redaktion wenden, unter Mail: nymphenspiegel@aol.com. Oder auch Beiträge für den Isar-Blog einreichen (www.die-neue-isar.com/isarrenaturierung/isar-muenchen-isar-blog).
Ralf Sartori
Artensterben in München, die Spirale der Reichtums-Verarmung
(oder Heimat als Luxusgut / ein Beitrag von Ralf Sartori / aus Band 3 Die neue Isar)
Im Vergleich zu vielen Städten bietet München seinen Bewohnern eigentlich eine überdurchschnittlich hohe Lebensqualität, was sich in anhaltend hohen Zuzugsraten niederschlägt und nicht zuletzt an dessen besonderer landschaftlichen Einbettung, den vielen Park-, und Naturflächen, auch innerhalb der Stadt, sowie dem „Grünen Band“ der Isar, liegt, das sich quer durch sie hindurchzieht. Mit Fertigstellung des Projekts Isarplan dürfte sich deren Attraktivität im Empfinden der meisten Einwohner und Besucher durchaus noch weiter gesteigert haben. Doch diese enorme Anziehung zeitigt auch ihre Schattenseiten, denn schon seit der Olympiade 1972 liegt München auch steil in der Kurve der Mietpreis-Spirale und seitdem fliegen immer mehr Münchner aus dieser Zentrifuge, die einen zunehmenden Teil der Einheimischen hinausschleudert in immer entfernter liegende Außenbezirke, da sie sich in München weder eine Wohnung noch ihren sonstigen Lebensunterhalt mehr leisten können. Doch nicht nur die Normalbevölkerung wird aufgrund dieser Entwicklung zu einem Großteil aus München entmietet, d.h., faktisch zwangsausgesiedelt, in die oftmals gesichtslosen Außenbezirke (Banlieues, Orte der Verbannung, wie Helmut Ruge sie in seinem Gedicht Der Städtemörder (Bd. 2 „Die neue Isar“) nennt), es verschwinden auch immer mehr Existenz-Nischen für Künstler, kreative Individualisten und andere innovative Querfeldein-Gänger, die sich naturgemäß eher an den Rändern der Gesellschaft bewegen, jedoch der städtischen Mischung die nötige Würze und Hefe für ihr geistiges und kulturelles Leben geben: dadurch, daß sie eben nicht im gewerblich-kommerziellen Mainstream und Einerlei (auch eine Art von Fluß, oder besser ein Kanal) mitschwimmen, nicht als hechelnde Mitläufer in einer unregulierten Dynamik der Märkte. Wo bleibt hier der Hochwasserschutz in der Mietpreis-Flut, für die alt eingesessenen Münchner oder jene von außerhalb, welche die städtische Vielfalt und Buntheit mehren?
Auf jenen, sowie auf Naturschutz und Biodiversität wird andererseits mittlerweile durchaus Wert gelegt, wie zum Beispiel beim Großprojekt der Münchner Isarrenaturierung, dem Isarplan, den Band 2 „Die neue Isar“ ausgiebig und detailliert beschreibt. Wie steht es aber mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Vielfalt, mit unserer Human-Diversität in München beispielsweise? Der Stahlbesen des sog. Freien Marktes kehrt München, das sich anhaltender Zuzugs-Beliebtheit erfreut, seit Jahren brutal aus, und in die so gerissenen Furchen strömen berufliche Aufsteiger, karriereorientierte Besserverdiener von überall her, vor allem aus dem Norden Deutschlands. Dicke Limousinen, vor allem bizarr überdimensionierte Geländewägen dominieren auffallend, bzw. verstopfen den Verkehrsfluß. Der Graue Flanell hat im Stadtbild stark zugenommen – Handies und Labtops haben längst die Cafés der Stadt erobert. Natürlich gehören diese Werkzeuge mittlerweile zum täglichen Leben und ihr Gebrauch soll hier keinesfalls geschmäht werden, auch aus meinem beruflichen Leben wären sie nicht mehr hinwegzudenken, doch Jahrhunderte waren gerade die städtischen Kaffeehäuser Inseln und Keimzellen der Bohème, gesellschaftlicher Erneuerung und urbaner Vielfalt (Handies oder Rechner sollten in einem Kaffeehaus ohnehin nicht im Übermaß in Erscheinung treten, denn niemand möchte sich dort doch fühlen wie in einem Büro oder Callcenter?). Heute sind diese einstigen Inseln im Alltag jedoch zu Bühnen einer statusorientierten Business-Klientel geworden.
Macht uns also nun diese zunehmende Konzentration von Reichtum, mit der wir es in München zu tun haben, nicht mit der Zeit in mancher Hinsicht auch ärmer?
Und die Zentrifuge schien bereits einen weiteren Geschwindigkeits-Schub zu erhalten, da eine neue Olympiabewerbung auf den Weg gebracht worden war. Zwar hätte eine solche Initiative, die, wie wir heute wissen, gescheitert ist, wenn sie erfolgreich gewesen wäre, keine eigentliche Mit-Ursache der zunehmenden Verschärfung des Problems dargestellt, aber zumindest eben doch eine Art von Brandbeschleuniger. Das Problem an sich hingegen dürfte grundsätzlicherer Art sein und darin bestehen, daß der Staat seine Bürger nicht ausreichend beschützt. Aber gerade darin bestünde doch eigentlich seine vorrangige Legitimation – in diesem Falle gegenüber den Auswüchsen eines ungezügelten Marktes. Nicht der Bürger mit seinen grundlegenden Existenzbedürfnissen genießt hier, im Wirken der Staatsorgane, Vorrang, sondern die Profit-Interessen privilegierter Minderheiten. Der unhinterfragte Glaubenssatz, „wenn es nur den Führungs-Etagen der Wirtschaft gut geht, dann profitieren alle davon“, hält sich bei der Mehrheit der Bevölkerung offenbar hartnäckig – ungeachtet einer deutlich andersgearteten Entwicklung der letzten Jahrzehnte, des erschreckenden Auseinanderklaffens der Einkommens-Schere und der Tastsache, daß immer weniger des erwirtschafteten Wohlstand auch in der Breite der gesellschaftlichen Zwiebel (oder mittlerweile ist es ohnehin schon eine Pyramide geworden) ankommt – als einer der irrationalen und nicht begründeten, aber immer noch gut funktionierenden System-Mythen.
Doch kehren wir zur Olympiabewerbung Münchens zurück: Grundsätzlich wäre nichts daran auszusetzen, wenn nicht … nun, als ich neulich wieder einmal eine meiner Lieblingsstrecken in München entlangflanierte, vom Hofgarten aus, an der Oper vorbei, war mir ein riesiges Werbeplakat am Bauzaun der ehemaligen Residenzpost aufgefallen, mit den großen Lettern: „Der Bayerische Immobilienverband unterstützt die Olympiabewerbung Münchens und Garmisch´.“ Welche weiteren Auswirkungen das für die Münchner Bürger gebracht hätte, wäre diese Bewerbung erfolgreich gewesen, bedarf vor diesem plakativen Hintergrund gewiß keiner weiteren Ausführung mehr.
Bleibt am Ende die Frage: Wieviel ist uns Heimat wert? Heimat als Kontinuum von Tradition und Weiterentwicklung, als das Gewachsene – solide Wachsende; auch unserer eigene Geschichte gehört dazu, die mit dem Stadtviertel verbunden ist, mit seinen Klängen und Gerüchen, den kleinen Läden, Altstadtkinos, die man eins nach dem anderen zugrunde gehen läßt, den Parks, Nachbarn, all den Leuten, die wir kennen. Heimat als das Verläßliche, das organisch und ohne allzu brutale Brüche sich verändernde, was sich dadurch auch als Ort ausweist, in dem die eigene Lebensmitte wurzelt: Ein zentraler Begriff also innerhalb einer konservativen Wertorientierung. Wie geht das dann also überhaupt zusammen, daß sich gerade die sog. konservativen Parteien in unserem Land so sehr auf die Liberalisierung der Märkte eingelassen haben? Und einen völlig enthemmten Casino-Kapitalismus mit seinem anwachsenden Mobilitätsdruck, den wir alle zu spüren bekommen, welcher die Teilhabe an den Qualitäten von „Heimat“ zu einem immer exklusiveren Luxusprodukt entrückt. Auch den ehemaligen Sozis, dem Folkloreverein der längst obsolet gewordenen Arbeiterklasse, fällt dazu offenbar nichts Besseres mehr ein.
Müßte man vielmehr nicht, um den Münchnern ihre Heimat künftig zu wahren, massenhaft und vorrangig auf öffentlichen Wohnungsbau oder auf den Bau von Genossenschaftswohnungen setzen, mit denen keine Geschäfte auf Kosten der Allgemeinheit gemacht werden können und die sich Menschen mit realer und konstruktiver Arbeit auch noch leisten können? Vorzugsweise für Münchner, die hier geboren sind. Das könnte doch einmal Teil einer glaubhaften wertkonservativen Politik werden, für die der Begriff „Heimat“ nicht nur eine hohle Phrase ist.
Dem Argument, die Stadt habe für öffentlichen Wohnungsbau kein Geld, ließe sich entgegenhalten, daß es schon genügen würde, die noch vorhandenen öffentlichen Grundstücke nicht alle zu verkaufen und bei solchen Bauvorhaben einfach nur kostendeckend zu planen. Die Philosophie, alles Tafelsilber zu verscherbeln, endet ohnehin schon in Kürze, spätestens dort, wo keines mehr übrig ist. Warum also nicht schon früher damit aufhören?
Ralf Sartori
Der Schwabing-Blog – mit Englischer Garten und Eisbach von Nymphenspiegel-Redaktion und Forum neue Isar